Dienstag, 30. Juni 2015

Pizza, Pasta & Amore

Direkt neben unserem Haus befand sich damals noch ein riesiger, abgetrennter Garten. Es hatte etwas von "der geheime Garten", nur in toskanischer Edition. Ich öffnete langsam die alte Stahltüre, die mir den Zugang bisher verwehrte und betrat den Garten. Riesige Blumenbeete schmückten den Steinplattenweg, der direkt zu einem hölzerneren Pavillon führte. Hinter dem Pavillon errichtete sich ein riesiger Steinofen. Ich konnte die frischgebackene Pizza förmlich riechen. Rosmarinduft stieg mir in die Nase und ich fühlte mich, als könnte ich auf Wolken gehen.

Abseits des Pavillons, in einem riesigen Liegestuhl, saß ein älterer Mann. Er kam aus Rom und verbrachte den Sommer mit seiner Familie, die ebenfalls aus Rom kam, hier in der Toskana. Er erzählte mir, wie er über die Jahre dieses Garten errichtete, um eine Wohlfühloase für sich und seine Familie zu schaffen. Man kann sich entspannen, grillen, die Sonne genießen und einfach vom Leben treiben lassen, als würde man auf einer Welle der Entspannung in Richtung Sonnenuntergang reiten. Ich fühlte mich dem älteren Mann gleich verbunden, das Funkeln in seinen Augen versprühte eine derart positive Energie, wie ich sie schon lange nicht mehr wahrgenommen habe. Seine faltigen Hände griffen die meine und er führte meine Hand über den Rosmarin. Die Blüten kitzelten auf der Hand, der Duft nach frischen Kräutern berauschte meine Sinne und ließ mir die verrücktesten und leckersten Rezeptideen durch den Kopf schießen.

Wie schon Mario und Gina, lud auch der alte Römer uns zu seiner Familie zu einem richtig italienischen Festmahl ein. Generell wird Gastfreundschaft hier groß geschrieben. Oftmals passiert man einfach einen offenen Garten oder Hinterhof und ehe man sich versieht, sitzt man bei einer 12-köpfigen italienischen Familie am Tisch und stopft sich mit Lasagne voll, wie man sie noch nie in seinem Leben gegessen hat.

Der Tisch unter dem Pavillon wurde liebevoll gedeckt und wirkte sehr einladend. Dutzende weiße Teller und silbernes Besteck schmückten das alte Holz, die Weingläser alle perfekt auf die selbe Höhe gefüllt und ein loderndes Feuer im alten Steinofen machten die Atmosphäre perfekt.
Obwohl das Italienisch von meiner Familie und mir sehr schlecht war, gelang uns eine wundervolle Konversation mit der italienischen Familie. Sogar die Kinder freundeten sich mit den Enkeln des Italieners an und prosteten sich regelmäßig mit einem Glas Fanta zu. "Tante Saluti" sagte meine Tochter immer wieder mit leicht deutschem Akzent. Alle lachten. Man fühlte sich geboren. Man fühlte sich zu Hause. Man war endlich in der Toskana angekommen.

Das Highlight war unsere selbstgemachte Pizza. Liebevoll richtete die italienische Nonna den selbstgemachte Pizzateig an und wir konnten unsere Pizza nach unseren kühnsten Träumen belegen. Tomate, Mozzarella, Paprika, Pilze, Tonno, und, und, und. Es gab alles, was das Herz begehrt und den Gaumen zu einer kulinarischen Explosion bringt.
Der Duft, den die Pizza über den Garten verteilte, als sie im Ofen hochbackte, war phänomenal.
Es roch nach Liebe und Geborgenheit.

Ich weiß gar nicht mehr, wie lang dieser Abend damals ging, aber als wir um 5 Uhr morgens, passend zum Sonnenaufgang das letzte Stück Pizza aßen, wusste ich doch eins: das Leben hier ist perfekt. Noch nie habe ich mich so heimisch gefühlt, obwohl ich an einem fremden Ort war. Noch nie habe ich mich so glücklich gefühlt, obwohl ich von lauter neuen Eindrücken überflutet wurde.
Noch nie nahm ich das Leben so intensiv wahr, wie hier.

Und das ist es, was die Toskana so wunderschön macht. Sie ist ein zu Hause. Ein Ort, an dem man ankommt und man man selbst sein kann. Und das ist es doch, worum es im Leben geht, oder?

Mittwoch, 24. Juni 2015

Kartoffelernte im Mondschein

Die ersten Tage in der Toskana vergingen für uns wie im Flug, denn schließlich gab es viel zu entdecken. Viele der Feldwege, die uns vor einigen Tagen noch in die Irre führten, waren nun der perfekte Ort, dass toskanische Land einmal genauer betrachten. Viele kleine und marode Steinbauten zieren die Wege, die Vegetation sprießt, wie es ihr gerade am besten passt. Trotz der chaotischen Zustände, hätte der Anblick irgendwie eine beruhigende Wirkung auf mich. Generell spiegelt sich die italienische Art in jedem Zentimeter Land wieder. Alles wird mit Ruhe gemacht und nur bei Bedarf wird sich ernsthaft um ein Problem gekümmert. Ob das der Schlüssel zum Glück und zu einer Lebensweise ist? Dies ist nur eine der wenigen Fragen, die in meinem ersten Toskanaurlaub aufkamen. 

Bei der Suche nach Antworten hielt ich mich immer zu an unsere beiden Hausverwalter: Gina und Mario. Dieses ältere Pärchen ist der Inbegriff der italienischen Freundlichkeit und Wärme. Sie haben das besondere Gespür, dir das Gefühl zu geben, dass du etwas besonderes bist. Auch der Umgang untereinander war einfach nur schön mit anzusehen. Die Liebe, die sich diese beiden Menschen gegenseitig geben, war das schönste, dass meine Augen seit langem gesehen habe. Eine Art der Fürsorge, wie sie in unserem kalten und grauen Deutschland doch oft im Stress des Alltags irgendwie ein Stück weit verloren geht. Somit stand mein Ziel fest: die italienischen Werte in mein Leben mit einbauen und so versuchen, endlich wieder Glück und Freude intensiv wahrnehmen.

Ein ganz besonderes Highlight, welches wir mit Gina und Mario erlebten war die Kartoffelernte im Mondlicht. Hinter ihrem Haus hatten die beiden ein riesiges Areal, auf dem sämtliche Gemüsesorten ihre Früchte trugen. Eine kleine Höhle wurde zu einem Weinkeller ausgebaut. Beim betreten stieg mir miefiger Geruch in die Nase, doch das Innenleben der Höhle war ein einmaliger Anblick. Tausende von Weinflaschen und Karaffen stapelten sich bis in die hintersten Winkel der Höhle. Obwohl es irgendwie gruselig schien, war es doch interessant mit anzusehen. Mario holte ein paar Gläser und zapfte den Wein direkt aus dem Fass. Das war mein erstes Glas toskanischer Wein. Ein Gaumenschmaus. Der Traubensaft bahnte sich den Weg meine Kehle hinunter und erfrischte jede meiner Zellen mit seiner Fruchtigkeit. Ich spürte die Trauben in mir explodieren und so musste ich grinsen.

Auf das Gläschen Wein folgte dann der aufregende Teil des Abends: die Kartoffelernte. Nachdem uns die Sonne verlassen hatte, tauchte ein riesiger Vollmond das Land in sein bezauberndes Licht. Alles glänzte förmlich und ich saugte die nächtliche Atmosphäre in mich hinein.
Nur mit meinen bloßen Händen bewaffnet, fing ich an, die Kartoffeln aus der  noch von der Sonne erwärmten Erde zu holen. Immer wieder spazierte eine Spinne oder ein anderes Tier über meine Finger. Obwohl ich bisher immer empfindlich auf Insekten reagiert habe, sah ich die Situation total entspannt. Je mehr Kartoffeln ich aus der Erde in den Sammelkorb beförderte, desto stolzer war ich. Es war ein einmaliges und unglaubliches Gefühl, obwohl es eine so nichtige Aufgabe war. Am Ende gingen wir mit einem bis zum Rand gefüllten Sack Kartoffeln nach Hause. Auch Wein haben wir en Masse geschenkt bekommen. 
Mein erstes italienisches Souvenir habe ich mir zwar anders vorgestellt, aber es sind ja bekanntlich die kleinen Dinge, die das Leben ausmachen.

Am nächsten Abend wurden wir dann von Gina und Mario zum Essen eingeladen. Es gab alles, was das Schlummerherz begehrt. Von Tomate Mozzarella, über Rosmarinkartoffeln, bis hin zu dem feinsten Kaninchenfleisch, dass ich je in meinem Leben gegessen habe. Ich kann dazu nur sagen, dass ältere, italienische Hausfrauen definitiv das größte Talent zum Kochen haben, als mir jede andere bekannte Person. Es wurde mit so einer Liebe zubereitet, die man mit jedem Bissen in sich aufnahm und verinnerlichte. Die Düfte stiegen mir in die Nase und versetzen mich förmlich in eine Art Trance, das Gelächter von Gina, Mario und den Kindern erfüllte mein Herz mit solch einer Freude, wie ich sie selbst noch nie erlebt habe.

Und so nahm ich eine weitere Lektion für mein Leben mit nach Hause: es sind die kleinen Dinge, die das Leben machen und solange man Menschen um sich herum hat, die einen lieben und die einem gutes Wollen, ist es egal, wo auf der Welt man sich befindet, weil man immer einen Halt hat.
Und mein persönlicher Halt ist die Toskana geworden.

Montag, 22. Juni 2015

La prima Volta


Meine Reise hat vor 14 Jahren im Jahr 2001 begonnen und ich kann wahrlich behaupten, dass ich das Ziel noch lange nicht erreicht habe. Warum das so ist? Wenn wir erst einmal realisieren, dass der Weg das Ziel ist und das wir uns konstant auf dem Weg befinden, ohne ein Ziel zu erreichen, sondern um die Schönheit und Weisheit dieses Weges schätzen lernen - erst dann hört das Leben auf eine Aufgabe zu sein, sondern es wird natürlich und einfach und in sich selber eine Ekstase.

Es war "La prima Volta", mein erstes Mal in Italien. Es war unendlich langes Autofahren durch eine malerische Landschaft, es war weinende Kinder, die zum ersten Mal eine völlig fremde Umgebung entdeckten, es war ein Haus, welches auf den ersten Blick so gruselig erschien, dass man sich wie ein einem Horrorfilm vorkam, es war Kartoffelernten im Licht des Mondes und die völlige Realisierung, wie schön die kleinen Dinge sind, es war Pizzaessen, frisch vom Steinofen, dass ich den Geschmack noch heute tief in mir drin schmecke, es war eine Rückfahrt vollgepackt mit den besten italienischen Produkten, dass man denken könnte, wir wären Italiener die nach Deutschland auswandern und sich heimische Produkte mitbringen. Doch wie kam das alles zustande?

Im August 2001 hat das Abenteuer begonnen. Familie Mehl fährt mich Sack und Pack das erste Mal in die Toskana. Katharina und Sebastian sind 3 und 7 Jahre alt und haben jetzt schon keine Lust auf eine 12 (in unserem Fall 18) Stunden Autofahrt. Natürlich muss bei McDonald's gehalten werden und natürlich wird einem von diesem Essen schlecht, dass ist doch alles klar, das weiß man vorher. Nein!
Nach dem gefühlt eine Millionsten Stau voller lästigem Anfahren und Bremsen, Anfahren und Bremsen und so weiter und sofort, bis man am liebsten eine riesen Bombe in die Schlange vor sich werfen möchte, damit der Weg endlich frei ist. Zu diesem ungünstigen Zeitpunkt hatten wir praktisch unseren zweiten Stop bei McDonald's, da Katharina sich übergeben musste. Ich versuchte die Nerven zu bewahren, doch nach jeder Menge Schlafentzug und schlechtem Raststättenkaffee fällt es selbst mir schwer, der Situation etwas positives abzugewinnen.

Sonderbarerweise kommt man doch meistens irgendwie an. Die Betonung liegt auf irgendwie.
Das Navigationsgerät schätze unsere Ankunftszeit auf ca. 18:00 Uhr ein. Damit lag es gar nicht mal so falsch, wenn man 23 Uhr noch als kleine Verspätung sieht. Scherz. Es gab noch gar kein Navi und wir waren nur mit einer Landkarte und dem Standart "ich fahre mal eben nach Italien"-Italienischkenntnisse bewaffnet. Tatsächlich war es so, dass wir ungefähr fünf Stunden durch das toskanische Hinterland getuckert sind, ohne ein wirkliches Ziel zu haben. Im Gegensatz zum bekannten Schilderwald betrug die Anzahl der Verkehrsschilder, sowie Richtungsweisern gerade dem Minimum, sodass man mit ein wenig Ortskenntnis alles finden müsste. Wir, als völlig Fremde, waren also völlig aufgeschmissen. Nur durch ein Wunder haben wir dann doch den richtigen "Feldweg" zum abbiegen gefunden. Ein altes Pärchen, dass zufällig auf einer der verlassenen Landstraßen spazieren ging, war dann doch in der Lage uns den Weg, mittels non-verbaler Hand-Fuss-Ohren und Nasenbewegungen und "Oh Gott die armen Deutschen"-Gedanken, zu erklären, welcher nun der richtige Weg ist.

Das Haus war düster und mit Efeu bewachsen. Die Fensterladen waren alle geschlossen. Wir wurden tatsächlich von völliger Dunkelheit begrüßt. Die Kinder liessen mich natürlich direkt spüren, wie sehr sie dieser Urlaub jetzt schon aufregt. Warum sind sie nur manchmal so undankbar, dachte ich mir.
Rettung (und Licht) nahte uns in Form von zwei zuckersüßen Hausverwaltern, die uns mit einem riesigen und rostigen Schlüssel dein Einlass zu Casa Geffri gewährten.
Von innen sah das Haus aus, wonach es draußen schon den Eindruck gemacht hatte: dunkel. Ich fühlte mich, als wären wir zig Jahrzehnte in die Vergangenheit nach Italien gereist und zurück zu einem einfach Lebensstandard gekehrt sind. Die Zeit war stehen geblieben. Die vielen Bilder an den Wänden erzählten vom Leben hier. Glückliche Menschen strahlten uns entgegen und irgendwie beruhigte mich das. Es war gar nicht alles so schlimm, wie es auf den ersten Blick aussah.

Als am nächsten Morgen die Sonne aufging und Licht das Haus durchflutete, war ich das erste Mal in der Lage, die Schönheit dieses Hauses zu bewundern. Es wirkte auf der einen Seite traurig und doch so stolz, wie es auf der erhöhten Einfahrt stand und dem Wandel der Zeit und der Menschen standgehalten hat. Man kann fast sagen, dass das Haus sich selber treu geblieben ist - und das war die erste Lektion, die ich in der Toskana gelernt habe: Man muss sich selbst immer treu bleiben. Denn wenn man völlig verzweifelt mitten in der Nacht in einem fremden Land steht, dann muss man sich aus dieser Situation selber wieder raushelfen beziehungsweise das Beste daraus machen.